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Des Nächtens in Peru II

Juni 29, 2017

Ich sitze im vermaledeiten Nachtbus nach Cusco. Wenigstens kann ich in der Dunkelheit nicht sehen, was mich schon wieder auf die Palme bringt: Müll is back. Nicht dass es im restlichen Südamerika besonders sauber wäre, aber Peru ist ein besonders übles Beispiel.

Auch in anderer Hinsicht: Was für eine Unart, die Leute allenthalben (selbst auf Feldwegen) mit diesen Bremsschwellen zu malträtieren. Anstatt sich an einigermaßen befahrbaren Straßen zu erfreuen, heißt es: Gas, scharf Bremsen, Schanzen, Gas und bis zum nächsten Höcker, der sich manchmal keine fünfzig Meter weiter befindet. Das Rumpelstilzchen in mir tobt. Wo habt ihr eure Blitzer, mit denen ihr einen Haufen Geld machen könntet? Verantwortungsvolles Fahren ist hier ein unbekanntes Prinzip.

Vermutlich aus diesem Grund regulieren in Cusco inmitten jeder Kreuzung, die durchaus mit einer funktionierenden und tatsächlich eingeschalteten Ampel ausgestattet ist, auffallend attraktive Polizistinnen unter engagiertem Einsatz ihrer Trillerpfeifen den Verkehr. Wer im Auto sitzt, nimmt – Ampel hin, Ampel her – auf nichts und niemanden Rücksicht. Sondern gibt Gas. Erst recht, wenn ein Fußgänger bzw. ein Autofahrer seine Absicht, die Straße zu überqueren bzw. einzufädeln (Reißverschlussverfahren? Noch nie gehört.), andeuten könnte.

All das kann dem besonderen Flair Cuscos, der Hauptstadt des Inkareiches, das immerhin vom heutigen Ecuador bis nach Chile und Argentinien reichte, nichts anhaben. Die Menschen identifizieren sich mit der Kultur ihrer Ahnen, inzwischen wird sogar wieder die Sprache der Inka, Quechua, gelehrt und gesprochen.

Die Inka waren erstaunliche Bauherren, wovon die Monumente im nahe Cusco gelegenen, wunderschönen Valle Sagrado (Das Heilige Tal) mit seinen Ruinen und Tempelanlagen und allem voran natürlich Machu Picchu bis heute zeugen.

Dazu muss man wissen, dass all das aus schwerem Granitgestein entstanden ist, der mit rein menschlicher Muskelkraft fugenlos verbaut wurde. Die Inkas hatten weder Pferde, Ochsen, Rad oder Wagen. Das hat der Stabilität keinen Abbruch getan, keines dieser imposanten Bauwerke ist jemals einem der vielen Erdbeben zum Opfer gefallen.

Es wird Zeit, sich vom Inka-Wunder bei der Hauptattraktion schlechthin zu überzeugen. Um 3:30 (morgens, was für eine Frage!) starte ich zum Salkantay Trek, der mich und elf andere innerhalb von fünf Tagen zum Machu Picchu bringen soll. Betuchte und vorausplanende Leute gehen den berühmten, Monate vorher ausgebuchten Inca-Trail.

Jeden Morgen spätestens um fünf steht der Guide mit einer Tasse Coca-Tee vor dem Zelt. Für den Energieschub. Den kann ich brauchen. Der Trek führt uns bei Schnee und eisigem Wind zum Salkantay Pass auf über 4600 Meter, dann bei Regen hinunter in den schwül-heißen Dschungel. Landschaftlich ist also einiges geboten, wettermäßig weniger. Bis zu neun Stunden am Tag geht es durch den Matsch (meine Schuhe! – ich möchte bei jedem Schritt heulen!). Was für ein Glück, dass es mich nicht hinhaut, wie gerade fünf Leute vor mir, einer nach dem anderen. Oh nein, denk das nicht, sonst geht es dir genauso… Und schwupps, da liege ich. Der Trick ist: Bloß nicht versuchen, das verdreckte Zeug auszuwaschen. Trocknen lassen und abklopfen. Sieht aus wie neu. Fast.

Aber mit welchen Banalitäten plage ich mich herum. Unsere zwei Köche haben 18 Leute (sich selbst plus zwei Guides, zwei Pferdemänner und uns Touris) zu versorgen – drei mal am Tag, Start mit dem Frühstück um fünf. Während wir loslaufen, machen sie den Abwasch, räumen alles zusammen, überholen uns auf der durchaus beschwerlichen Strecke (zu Fuß versteht sich), um dann mitten in der Walachei in einer Art Feldküche mit einem opulenten Mittagessen aufzuwarten. Gleiches Spiel zum Abendessen.

Von den mehr als 3000 peruanischen Kartoffelsorten bekommen wir einige zu probieren. Ich liebe Kartoffeln, aber frittierte Yucca sind auch ganz vorne dabei. Ich bin nur froh, dass das berühmte Meerschweinchen (Cuy), mit dem – da ist es bereits aufgespießt und gegrillt – sie einem am Straßenrand gerne entgegen winken, nicht auf unserem Speiseplan steht.

Vor lauter Essen habe ich Sorge, den letzten, den Tag aller Tage, nicht mehr zu schaffen. Der hat es in sich: 3:30 (argh) Uhr morgens Aufbruch. Irgendwann geht es Steintreppen hoch. Eine Stunde. Im Dunkeln. Was tut man nicht alles, um sich den Machu Picchu zu verdienen. (Ich bin ohnehin der Überzeugung, man muss sich den Machu Picchu erarbeiten, ihn im Kontext des unfassbar schönen Flecken Erde, den die Inkas sich hier ausgesucht haben, zu sehen. Wer sich einfach mit dem Bus hinkarren lässt, wird das so nicht erleben.)

Wir kommen genau rechtzeitig. Die Ruinen und die Berge sind noch wolkenverhangen, aber die aufgehende Sonne legt Stück für Stück vom Zauber frei. Ich bin total geflasht.

Auf meine Frage, wozu genau Machu Picchu gebaut wurde, gibt es außer verschiedener Theorien keine gesicherte Antwort. Schriftliche Aufzeichnungen fehlen, die Historie basiert auf Legenden oder Chronisten, deren Schilderungen durch die spanische Kolonisalisierung geprägt sind. Diese hat schließlich auch zum Ende des Inkareichs geführt, wobei die Spanier leichtes Spiel hatten: Das Reich der Inkas, die im Übrigen selbst eine brutale Kolonialpolitik betrieben, war durch Bürgerkriege schwer angeschlagen und geschwächt.

Ich mache mich auf den Weg, den gleichnamigen Berg zu erklimmen, nochmal 650 Höhenmeter, aber das sagenhafte Postkartenpanorama kann ich mir unmöglich entgehen lassen. Nach wenigen Metern weiß ich, warum der Guide auf meine Frage, ob es sehr steil würde, nicht mehr als ein vernuscheltes “dann und wann” verlauten lassen hat: Abermals total unregelmäßige Steintreppen, jetzt teilweise so hoch wie meine Knie, so schmal und steil, dass mir manch einer auf allen Vieren entgegen kommt. Der Aufstieg in aller Herrgottsfrühe war ein Seniorenspaziergang dagegen! Jetzt ist es zu spät, ich ziehe das durch. Zum Glück. Denn der Ausblick von oben lässt jede Anstrengung vergessen. Ein bisschen wie eine-Frau-im-Moment-der-Niederkunft-artig. A propos. Es heißt, es herrsche eine starke weibliche Energie hier. Ich habe keinen Zweifel, dass allein diese mich nach oben katapultiert hat.

Und das Schöne: Nachher alles wieder runter…