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Launen in Laos

Dez. 8, 2016

Manch einer sagt mir Launenhaftigkeit nach. Mag sein. Aber ich sage euch, es gibt für jedes einzelne Mal einen sehr begründeten Anlass! Man nehme den ersten Tag in Laos. Mit Übertreten des Mekongs im Norden und damit der Grenze zwischen Thailand und Laos ist die Landschaft eine vollkommen andere. Eine schöne andere! Serpentine um Serpentine schlängelt es sich von einem Berg zum anderen, immer hoch und runter. Alles Wald. Kaum Besiedelung. Nur das ein oder andere Dorf, in dem ethnische Minoritäten wohnen.

Die Leute im Bus sind sowas von herzlich, versorgen mich mit ihren Snacks. Zum Glück, denn ich habe mega Hunger. Auch der Bus selbst ist eine ganz neue Erfahrung. Hier gibt es keine Sitze oder Liegen, sondern eine Art gepolsterte Pritschen, die einigermaßen Platz versprechen. Ich liebe Laos.

Das Glück bekommt erste Risse, als sich ohne Vorwarnung oder irgendein Wort einer neben mich schmeißt, die Hälfte meines Kopfkissens belegt und auch sonst alle möglichen Körperteile auf mir ablegt. Am wenigsten verzeihlich ist aber, dass er seiner Flatulenz ungeniert freie Fahrt gewährt. Wieder einmal bereue ich, keinen dieser thailändischen Riechsticks eingepackt zu haben.

Um halb zwölf Uhr abends, ohne ersichtlichen Grund Stunden später als avisiert (zum Glück weiß ich da noch nicht, dass das krasse Untertreiben von Fahrzeiten hier zum guten Ton gehört), werde ich neben einigen wenigen an einer Bushaltestelle in the middle of nowhere ausgespuckt. Der Ort samt gebuchter Unterkunft ist zehn Kilometer entfernt. Es ist aber auch eine Unart, die Bushaltestellen immer so weit außerhalb zu legen.

Die vormals so netten Leute steigen in einen auf sie wartenden Pick-up und brausen davon. Der noch beinahe voll besetzte Bus fährt weiter Richtung Luang Prabang. Außer einer Kanadierin, die mit zwei exorbitant großen und schweren Koffern um die Welt reist, einem bellenden Hund und mir ist hier niemand. Kein Mensch, kein Tuk Tuk, nichts. Wir stellen uns auf die Straße, um jemanden anzuhalten. Es dauert bis überhaupt jemand auftaucht: No English. Der Nächste: No time. Der Übernächste: Sleep. Wie war das noch mit der asiatischen Freundlichkeit?

Wir stoßen auf ein Guesthouse, vielleicht können wir mit dem WLAN von dort unsere Unterkünfte kontaktieren. Nach langem Rufen und Klopfen macht uns endlich jemand auf. In meinem Guesthouse geht keiner ran. Beim anderen heißt es, es sei zu spät für Tuk Tuks.

Bleiben wir in Gottes Namen in dieser von mir zuvor nicht überprüften Unterkunft. Als wir am nächsten Morgen dort einen Inder treffen, dem es bereits um halb neun ebenso ergangen, wird mir klar: Hier ticken die Uhren anders. Und das Guesthouse an der Bushaltestelle macht einen Reibach mit den Gestrandeten. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich Laos wirklich mag.

Meine Laune erfährt ein Hoch, als ich mir nochmals die Landschaft vergegenwärtige. Das Land bleibt so gebirgig und bewaldet wie oben beschrieben. Flacher und dichter besiedelt wird es erst in Richtung Mekong-Delta ganz im Süden. Am meisten erfreue ich mich an den wilden Weihnachtssternen, die hier überall wachsen und die ich – als bekennender und derzeit leidender, weil Advent, Glühwein, Lebkuchen, Plätzchen, Weihnachtsmusik, -filme, -märkte und ich weiß nicht alles vermissender Weihnachtsfan – just am ersten Advent entdecke.

Während eines Treks durch den Regenwald steuert die Stimmung auf den nächsten Einbruch zu. Entgegen meiner Erwartung und der Auskunft meines Reiseführers wird definitiv kein Tiger-Brüllen zu hören sein. Die letzten Leute im Dorf, die Bekanntschaft mit Leoparden und Tigern gemacht haben, sind um die neunzig, sagt der Guide. (Da fällt mir ein, die Lebenserwartung in Laos liegt noch nicht mal bei siebzig.) Begegnungen à la Dschungelbuch gehören Dank Wilderern und Rodungen auch in Laos der Vergangenheit an.

Dann nehme ich auch noch ein Geräusch war, das mich an der Seriosität des ganzen Unterfangens zweifeln lässt. Wollen die uns verarschen? Das soll ein Regenwald sein? Meine Ohren sagen mir: Wir laufen gerade an einem ausgewachsenen Elektrizitätswerk vorbei!? Bevor ich dem Guide an die Gurgel gehe, gehe ich einen Moment in mich. Könnte es sich womöglich doch um ein natürliches Geräusch handeln? Tatsächlich. Irgendein Insekt verschafft sich lautstark Gehör. Die kanadische Begleiterin (die mit den Koffern) möchte den Grund für das Sirren wissen und liegt mit dem Guide über dessen Antwort (damit die Dschungelbewohner wissen, dass es Abend wird) im Clinch. Ich trete weg und lausche:

Es folgen weitere Stationen in einem durchgängig schönen, aber touristisch noch nicht total überrannten Land, natürlich auch im viel gepriesenen Luang Prabang, in der Hauptstadt Vientiane, und immer wieder am Mekong.

Bevor ich denke, es flutscht, kracht der Bus zusammen. Ich habe den Norden mittlerweile verlassen und befinde mich von Zentrallaos aus auf dem Weg in den Süden. Die Fahrt sollte elf Stunden dauern, ich habe pro forma schon mal drei Stunden oben drauf gelegt. Aber auch damit komme ich nicht hin. Der Bus kracht noch zwei weitere Male zusammen. Nach 19 Stunden erreiche ich mein Guesthouse. Nach weiteren zwei Stunden Schlaf sitze ich im nächsten Bus. Der kurz vor dem Ziel ebenfalls zusammenkracht. Aber ich weiß ja jetzt, wie das geht: Sich im Straßengraben hockend, von Ameisen aufgefressen werdend, in Gelassenheit zu üben.

Erhole mich jetzt am Mekong und fahre maximal Fahrrad.