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Verschiedenes aus Vietnam

Feb. 11, 2017

Ödeste Neujahrsüberraschung

Ausgerechnet die Tage um den wichtigsten vietnamesischen Feiertag, das Tet-Neujahr, verbringe ich in Hanoi. Das Bild der Stadt, die sonst vollgestopft ist mit Menschen, Läden, Cafés, Streetfood, Motorbikes und Autos, wird in dieser Zeit von herunter gelassenen Rollläden bestimmt. Ich muss dringend Wäsche waschen – über mehrere Tage undenkbar.

Wochenlange Vorbereitungen gehen dem Fest voran. Kinder bekommen neue Kleider, Schulden werden zurück bezahlt, Neujahrsbäume werden besorgt und geschmückt. Neujahr (wir schreiben jetzt das Jahr des Hahnes) selbst verbringt man in der Familie. Die einzigen Menschen, die auf der Straße sind, stehen für ihre Neujahrsgebete an den Tempeln Schlange. Oder gehen in die Kirche.

Ja, richtig gelesen. Mit um die sechs Millionen Gläubigen hat Vietnam (unter anderem aufgrund der französischen Kolonialherrschaft) den zweitgrößten Anteil an Katholiken in Südostasien. Vor allem im Süden sind mir die vielen Kirchen und die mit bunt-blinkenden Lichtern dekorierten Krippen aufgefallen.

Ich habe also wenig Ahnung, wie Hanoi wirklich ist. Ich kann aber sagen, wie es sich anfühlt, tagelang durch eine ausgestorbene asiatische Millionenstadt zu flanieren. Weitestgehend öde.

Größter kulinarischer Irrtum

Was habe ich mich auf die von allen beschworene vietnamesische Küche gefreut. „Für Feinschmecker ist Vietnam die Vollendung aller asiatischen Küchen. Ein köstlicher Cocktail aus Frische, Raffinesse, Sanftmut und Schönheit.“ Sagt der Merian. Da ist was dran. Daheim könnte ich täglich zum Vietnamesen rennen. Dann muss es vor Ort erst recht sensationell sein, oder?

Die Wahrheit ist: Ich freue mich jetzt schon auf die überteuerten Vietnamesen zu Hause. Das liegt noch nicht einmal daran, dass mir der Appetit vergeht, wenn während des Servierens Dinge verrichtet werden, die man eigentlich nur von Kleinkindern oder vermeintlich unbeobachteten Autofahrern kennt: Nasebohren zum Beispiel. Nein, es gibt hier wirklich ganz viel ganz miserables, fettiges, einseitiges, unaromatisches Essen (natürlich nicht nur, siehe bspw. Streetfood in Saigon), das man halt runterwürgt, weil man gerade sehr hungrig ist. Was ist nur aus der blumigen Merian-Beschreibung geworden? Ich weiß bis heute nicht, woran es liegt, vielleicht habe ich einfach nur ein paar Mal Pech.

Aber auch dem (dann eben) nicht nach Nahrungsmitteln Suchenden bieten die hiesigen Markthallen genug Programm: Dann, wenn am helllichten Tag unter den Blitzen einer grellen Lightshow lauthals Karaoke gesungen und zwischen ausliegenden Schweinehälften ausgelassen getanzt wird. An meinem Coconut-Smoothie nuckelnd (sehr nahrhaft und noch nie schief gegangen) schaue ich fasziniert und, ja, versöhnt zu.

Größte Sprachbarriere

Endlich wieder lateinisches Alphabet – ich fühle mich gleich sicherer. Das mit der Verständigung in Vietnam wäre damit doch gelacht. Von wegen. Nach fünf Wochen im Land schauen mich die Leute immer noch mit fragenden Augen an, wenn ich lediglich ein läppisch kurzes Wort wie „Danke“  zu übermitteln versuche. Ich unterstelle einfach mal keine Widerspenstigkeit und lasse außen vor, dass man mich selbst mit wenig gutem Willen aus dem Kontext heraus verstehen dürfte (come on – ich habe echt auch immer ein unterstützendes Lächeln auf den Lippen).

Vietnamesisch ist eine tonale Sprache, ein identisch geschriebenes, noch so kurzes Wort kann je nach Tonlage mehrere komplett verschiedene Bedeutungen haben. Ich höre den Unterschied auch nach mehrfacher Schulung einfach nicht heraus. Englisch wäre eine Lösung. Aber auch das ist eine Einbahnstraße. In die andere Richtung. Englisch sprechende Vietnamesen kann wiederum ich nicht verstehen. Als ich darüber mal wieder verzweifle, weil ich einfach nicht weiß, was der vietnamesische Guide mir vermitteln möchte, folge ich der Empfehlung einer Freundin: Man stelle sich vor, der Englisch redende Vietnamese habe eine große, heiße Kartoffel im Mund… Den Rat kann ich an dieser Stelle nur weiter geben. Es funktioniert!

Beste Tat

Es gibt Momente, in denen mich mein schlechtes Gewissen plagt, weil ich nicht jedem blinden und / oder amputierten Straßen-Verkäufer sein Tigerbalm oder Lotterielos abnehmen kann. Dann tröste ich mich damit, dass ich einen gut habe. Während ich nach einem anstrengenden Tag über einem erfrischenden Bier sitze, kommt ein Herr mit einer halbgefüllten Karaffe an den Tisch. Er gehört definitiv nicht zum Personal des Lokals, doch aus seiner Gestik schließe ich, dass er mir etwas nachschenken möchte. Keine Ahnung, wie ich zu der Ehre komme, vermutlich ein Ausdruck der Gastfreundschaft. Wirklich nett. Nur: Was weiß ich, was in dem Gefäß drin ist? Ich lehne vorsichtshalber freundlich ab. Der Mann insistiert und lässt sich nicht abwimmeln. Lieb, doch ich will das nicht!! Kann Bier genauso gut wie Urin drin sein.

Wie sich herausstellt, ist meine Sorge unbegründet. In aller Seelenruhe nimmt der Mann meine noch beinahe komplett gefüllte Flasche Bier und gießt sie in seinen Pitcher um. Erst denke ich noch, er nimmt sich nur einen Schluck daraus. Aber nein. Er genehmigt sich wirklich alles. Ich sehe dem Geschehen fassungslos zu. Während der durstige Herr gemütlich davon schlurft – frage ich mich, ob ich lachen oder schreien soll.

Schönster und scheußlichster Ort

Alle schwärmen von Hoi An. Zu Recht. In diesem Ort kann man in die japanisch-chinesische Vergangenheit des Landes eintauchen wie nirgendwo sonst. Runde um Runde könnte ich durch die Altstadt mit ihren chinesischen Tempeln, japanischen Handelshäusern, kleinen Sträßchen und den unzähligen Lampions drehen. Die Stadt ist zwar vollgestopft mit Touristen, aber das macht nichts. Die Kulisse lässt sich davon nicht stören.

Unglücklicherweise ist das an einem Fluss gelegene Hoi An ein Regenloch, die Altstadt säuft in aller Regelmäßigkeit in ein bis zwei Meter tiefem Wasser ab. So auch der Fall nach wochenlangem Regen kurz vor meiner Ankunft. Die Dauerfeuchtigkeit führt wahrscheinlich auch dazu, dass die Stadt in besonderem Maße über unliebsame Mitbewohner verfügt. Vietnamesen sprechen kichernd von „big mouse“…

In Hoi An begegnen einem – für mich sind es ausgewachsene – Ratten und / oder deren Hinterlassenschaften nicht nur an Kochtöpfen oder auf Esstischen (alles schon dagewesen), sondern auch an Orten, die ich für sicher gehalten habe. Bei den für Hoi An berühmten Schneidern zum Beispiel. Während der Anprobe eines Kleides begegnen mir innerhalb weniger Minuten gleich drei Exemplare. Eine rennt ganz nah an meinem Fuß vorbei. Eine andere verschwindet nach meinem Schrei vor Schreck in den Klamotten. Das Kleid, für das ich schon bezahlt habe, lasse ich zurück. Hat mir sowieso nicht gefallen. Meine Füße halte ich ab jetzt, wann immer es geht, eine Hand breit über dem Boden.

Allerscheußlichster Ort

Mui Ne hält alles an Schrecklichem bereit, was man sich so vorstellen kann. An Fressbuden angekettete, verwahrloste Affen, den traurigen Höhepunkt an unvorstellbarer Strandvermüllung, eine große Auswahl an verbrannten russischen Bierbäuchen, geschmacklos zugebaute Küstenabschnitte.

Ich will hier raus. Auf geht’s zu einem Canyon, der angeblich den Vergleich mit dem Grand Canyon nicht zu scheuen braucht. Nach etwa halbstündigem Gewate durch verdrecktes, stehendes Gewässer erreicht man zusammen mit Dutzenden Mitwanderern etwas, das ich maximal als besseren Steinbruch beschreiben würde.

Vielleicht habe ich mit den nahe gelegenen Dünen – der sogenannten Sahara Vietnams – mehr Glück. Diese Idee haben viele andere auch. Und schon fällt eine Gang an Tourenabzockern über einen her. Für teures Geld lässt man sich Rallye-Dakar-mäßig in röhrenden, alten Jeeps die Dünen hinunter stürzen. Das Gekreische der Insassen ist kalkulierter Teil der Show.

Ich gebe nicht auf. Es soll hier noch irgendwo rote Dünen geben, die sich mit dem Sonnenuntergang spektakulär verfärben. Tja. Was soll ich sagen. Wenn man von den Dünen vor lauter Menschen und Müll denn überhaupt etwas sehen könnte.

Was lerne ich daraus? Finger weg von Wannabe-Sehenswürdigkeiten, die so wenig zu bieten haben, dass echte Naturwunder als Referenz herhalten müssen.

Beste Gegend

Vom Süden kommend wird das Land mit Überqueren der DMZ (damit ist die demilitarisierte Zone zwischen Nord und Süd während des Vietnamkriegs gemeint) rot. Egal ob Stadt oder Land, quasi jedes Haus ist kommunistisch rot beflaggt. Auch landschaftlich verändert sich einiges. Zweifellos hat der Süden mit dem Mekongdelta und seinen Stränden seinen Reiz. Oder das wolkenverhangene Hochland um Dalat, das beinahe schweizverdächtig ist. Mit dem Unterschied, dass hier ein jeder in seinem Vorgarten auf einem Berg von zum Trocknen ausgelegten Kaffeebohnen sitzt.

Am allerbesten wird es für mich jedoch weiter im Norden (Phong Nha und Tam Coc), wo sich eine faszinierende Karststeinlandschaft breit macht und man alle paar Meter für ein Panorama-Foto anhalten möchte. So langsam kann ich den Hype um Vietnam nachvollziehen. Ebenso wie den Trend, das Land mit dem Motorbike zu durchqueren. Denn diese Route führt anders als die der Touribusse über den landschaftlich einmaligen Ho Chi Minh-Pfad, der von den Vietcong während des Krieges für die Versorgung zwischen Nord und Süd genutzt wurde.

Das alles mündet in das große Finale, in einer Tour durch die berühmte Halong Bay, wo die Karststeine nicht aus dem Boden, sondern aus dem Wasser ragen. Möchte man nicht mit Dutzenden anderen Booten gleichzeitig starten, um sich anschließend in der Bucht gegenseitig die Bilder zu verschandeln, empfiehlt es sich, beispielsweise von der größten Insel der Bucht, Cat Ba Island, aufzubrechen. Hier sind maximal vier Boote ausgelaufen.